Rant

Über folgende Artikel bin ich heute morgen gestolpert und ärgere mich:
Eltern-Überforderung
Pure Erschöpfung
Langzeiterfahrung

Meiner Meinung nach werden dort Tatsachen miteinander verwoben, die keinen ursächlichen Zusammenhang haben.

Jeder „Erziehungstrend“ hat übers Ziel hinaus schießende Verfechter*innen und wenn ich mich nur mit diesen umgebe, kann das durchaus beängstigend wirken.
Es gibt diesen schönen Satz: „Wenn du denkst, an einer Depression zu leiden, überprüfe zuerst, ob du nicht einfach nur von Arschlöchern umgeben bist.“(So ähnlich ging der, das ist die in meinem Kopf festgehaltene Quintessenz.)
Die Wurzel des Übels in den obigen Artikeln scheint mir eher fehlende Abgrenzung (zu den eigenen Kindern als auch zur Umwelt) und ein Mangel an Unterstützung denn Attachment Parenting (AP) zu sein.
Als ich in einem Anfall von Minimalismus zuviele Töpfe aussortiert und weggegeben habe, war das eine ganz persönliche Fehlentscheidung und kein Versagen des Minimalismus. Ich habe daraus gelernt, dass ich mit drei Töpfen nicht glücklich bin, streite aber nicht ab, dass es zu anderen Menschen sehr gut passt und prinzipiell weniger zu besitzen eine gute Sache für mich und die Umwelt ist. (Niemand hat jedoch bisher die Töpfe nach ihrer Meinung dazu gefragt.)

AP macht keine müden Eltern. Die ersten 2-3 Jahre mit Kind(ern) sind über alle Maßen kraftraubend und erschöpfend. Egal, welchen „Erziehungsstil“ ich wähle.
Schlafentzug, schmerzende Rücken, Tage ohne Duschmöglichkeit gibt es sehr wohl auch in Familien ohne Familienbett.

Nicola hat schon 2010 geschrieben „AP funktioniert nicht“, eben weil es keine Methode mit Ergebnis XYZ sondern ein Lifestyle ist.
Immer mal wieder kommen in meiner Internetblase Klagen über Mummy-wars, Stillmafia, Öko-Dinkel-Nazis und Helikoptereltern vor.
Und immer wieder denke ich: warum umgebt ihr euch mit solchen Menschen, wenn sie euch nicht gut tun?
Mein Instagram-Feed beispielsweise ist voll mit bunten, facettenreichen Profilen, die von ihren Höhen und Tiefen berichten.
Wenn dich die durchgestylten DIY-immer happy-Werbe-Profile nerven, entfolge denen doch einfach?
Ich kann diese Klagen wirklich nur schwer nachvollziehen, weil mein Instagram soviel anders ist. Trotzdem bleibt es ja dieselbe App, mit den gleichen Tücken und Möglichkeiten. Es kommt halt drauf an, wie jede*r diese für sich modifiziert und nutzt.

Auch im analogen Leben treffe ich mich nicht mit Eltern, die mir permanent ungefragt ihre Meinung und Bewertung aufdrücken oder mich sonstwie stressen. Ich war noch nie in einen Mummy-war verwickelt, keine Ahnung, wieso das anderen anscheinend ständig passiert.
Wenn im Babymassage-Kurs die Mutter neben mir permanent ungare Halbwahrheiten heraus posaunt kann ich entweder dagegen halten oder mich beim nächsten Mal woanders hinsetzen.
Wenn mich gewisse Personen unter Druck setzen, wäre Kontaktminimierung eine Möglichkeit. Egal, ob die mir von Schlaftrainings oder Bernsteinkettchen erzählen.

Mit Fieber und Bronchitis bei Minustemperaturen im Park zu stehen muss schrecklich gewesen sein. Es hat aber rein gar nichts mit AP zu tun, dass der Vater sich nicht hat krankschreiben lassen, die Oma vorbei gekommen ist oder sonst irgendjemand zur Kinderbetreuung organisiert wurde. Das waren persönliche Entscheidungen und nicht „AP-Gesetz“.
Ich hätte die Kinder vor Youtube geparkt, Tiefkühlpizza und ganz eventuell noch Apfelschnitze serviert und mich dann meinem Leiden ergeben. Also theoretisch. Praktisch würde ich auf jeden Fall versuchen mir Unterstützung ranzuholen. Damit lebe ich ja nicht entgegen der Bedürfnisse meiner Kinder. Eines der Bedürfnisse ist eine stabile, sichere Bindung in der frühen Kindheit und das ist kein eso-Gequatsche, sondern inzwischen vielfach wissenschaftlich nachgewiesen, Urvertrauen, Selbstwirksamkeit und so (gibt dazu auch Quellen, beginnend bei Kaspar-Hauser-Experimenten irgendeines Königs, ich bin zu müde um irgendetwas zu recherchieren, AP ist Schuld).

Genauso wie eine außerfamiliäre Betreuung eine ganz persönliche Entscheidung ist und nicht vom Erziehungsstil vorgegeben wird. (Es sei denn, mensch ist Mitglied bei den 12 Stämmen, aber dann kannst du das hier ja eh nicht lesen weil Internet-Hexenwerk und sowas.)
Ich kann mein sicher gebundenes Kind in eine mir genehme Kindertagesstätte bringen, arbeiten gehen und anschließend weiter bedürfnisorientiert mit ihm leben.

Und überhaupt: was ist denn die Alternative dazu auf die Bedürfnisse (!) deines Kindes einzugehen? Sie zu ignorieren? AP heißt ja nicht zwangsläufig jeden Wunsch zu erfüllen, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumenoder nicht mehr vor der Tür rauchen zu dürfen.
Das Herr Winterhoff diese ganzen undisziplinierten Familien furchtbar schlimm findet und ein weiterer aus irgendeiner Ecke herangezerrter Psychologe auch noch schwerste kindliche Störungen voraus-orakelt wundert mich nicht, aber wachsen Kinder deren Bedürfnisse permanent übergangen werden tatsächlich zu selbstständigen, zufriedenen Erwachsenen heran?
Waren Trumps Eltern zu AP? Wurde Putin zu lange gestillt? Hat Erdogan zu lange im Familienbett geschlafen?
Wir wissen es nicht, aber anders lassen sich diese massiven Persönlichkeitsstörungen wohl kaum erklären.

Was ich sagen will: Kinder sind Menschen, mit Menschenrechten, Gefühlen, Sorgen, Wünschen, Ängsten. In der Regel körperlich kleiner und anders denkend als der durchschnittliche Erwachsene, aber nicht böse, schlecht, unfertig.
Im Zusammenleben mit mehreren Menschen gilt es immer eine gute Basis zu finden, auszutarieren, Kompromisse einzugehen.
Diese Ansichten wurden durch die AP-Bewegung massentauglich (widersprechen zudem den Ansichten Winterhoffs), lösten die vorherrschende autoritäre Erziehung ab und haben nichts mit Osteopathie, Stillen bis zum Abi und Stoffwindeln zu tun.

Am Ende ists vielleicht wie beim Punkrock: Punk ist, was du draus machst.

3 Kommentare Gib deinen ab

  1. cloudette sagt:

    ❤ ich liebe deine Rants!

  2. heyholetsgolater sagt:

    👍🏻❤️

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