Ansichtssache

am

Mit 15 war ich überzeugte Feministin, habe Bücher dazu gelesen, schlaue Sprüche drauf gehabt und war generell ziemlich anti, Pubertät halt.

10 Jahre später war ich mir dessen nicht mehr so sicher.
Einschlägige Aufkleber zierten meinen Kühlschrank, Aufnäher meinen Pulli, die Bücher standen immer noch im Regal, jedoch: in meinen Armen lag ein Baby.
Stillen oder nicht stillen stand für mich nie zur Diskussion, ich kümmerte mich um Klamotten- und Windelnachschub, organisierte Arzttermine, machte die üblichen Kurse mit dem Baby. Der Papa des (inzwischen großen) Kindes trat durchaus als solcher in Erscheinung, nach 6 Monaten ging er auch mal 1-2 Stunden mit dem Baby raus und ich hatte Zeit für mich und/oder den Haushalt.

Nach knapp 10 Monaten ging ich arbeiten, das Kind wurde bis zum 2.Geburtstag vom Papa betreut.
Ich arbeitete in einem reinen Frauenberuf, dem deutschlandweit meines Wissens drei Männer nachgehen.
Ich war für langes Stillen, Familienbett, späten Kita-Eintritt, Attachment Parenting und den ganzen Rattenschwanz (und bin es heute noch).
Karriere gibt es in diesem Beruf nicht, dafür schlechte Bezahlung, unbezahlte Überstunden und den Freifahrtsschein in die Altersarmut.
Immerhin: Kinder stellen kein Hindernis dar, sondern gelten eher als Kompetenzgewinn. Zumindest solange frau 24/7 verfügbar und arbeitswillig ist, sowie sich reichlich spontane Kinderbetreuungsmöglichkeiten organisiert hat.

(Über die Rente habe ich mir nie ernsthaft Gedanken gemacht, ich werde ja eh keine mehr bekommen. Der Generationenvertrag läuft aus, selbst wenn seit 2-3 Jahren wieder ein zaghafter Anstieg der Geburtenzahl zu verzeichnen ist.)
Alles in allem also recht altbackene Ansichten.

Aber ich war nach einem Jahr auch alleinerziehend, muss frau da nicht per se Feministin sein? Wenn sie eh alles allein macht, vom Großziehen, Wäsche waschen und dem Regal an die Wand nageln. (Ich bin bis heute eher der Nagel- statt Schrauben-Typ. Aber sind solche Kategorien nicht gerade das Problem, die Aufteilung in typisch männlich/typisch weiblich? Frauen nageln, Männer bohren?)
Gibt es feministische Langzeitstillerinnen, die für Fragen zur Waschmaschinenreperatur den Papa anrufen oder müsste ich mir das selbst ergooglen?

Das umstandslos-Magazin war im Entstehen und ging 2014 online, ich wollte eigentlich auch gern mitschreiben, habe es aber bisher nie getan, bis zur Februar-Ausgabe 2017.
Und auch diesen verfassten Text reichte ich mit ziemlicher Unsicherheit ein und der Frage im Kopf „Wie feministisch bin ich eigentlich?“.
Als angehende Akademikerin (ich habe immerhin einen Studentenausweis, wenn auch momentan hauptsächlich wegen des Semestertickets) gehe ich natürlich wissenschaftlich an das Ganze und suche daher erstmal nach einer Definition.

Feminismus.

Tja.
Gibt’s die?
Also DIE, allgemeingültige?

Selbstverfreilich nicht und da beginnt mein Dilemma oder auch vielleicht meine Antwort.
Ist das eventuell so wie beim Punkrock?
Feminismus ist das, was du draus machst?

Darf ich mich dann Feministin nennen, auch wenn ich derzeit ausschließlich care-Arbeit mache, welche mitnichten 50/50 aufgeteilt ist zwischen uns Sorgeberechtigten?

Woran ich andererseits aber auch gar kein Interesse habe, das ist doch wahnsinnig unfeministisch, oder?
Gern Zuhause und ausschließlich Mutter zu sein, zwar ab und zu mal meckern, aber nicht vehementer als ich es übers Wetter tue.
Geht es um Wahlfreiheit oder müssen Alternativen gelebt werden?
Reicht es, den Gingerman auf sein Mansplaining aufmerksam zu machen (er wollte mir tatsächlich Mansplaining erklären – was haben wir gelacht) während ich das Baby einschlafstille? Ihn ausschließlich daraufhin zu weisen, dass es nicht MEIN Wickeltisch ist und dann trotzdem 90% der Windeln zu wechseln? Weil er es eh nicht richtig genug für mich macht? Betreibe ich maternal Gatekeeping oder hängt er sich da nicht genug rein? (Ein schöner Artikel dazu bei Jochen König.)

Ich weiß es echt nicht.
Manches erscheint mir aber auch einfach zu theoretisch, gedanklich zerkaut und zugegebenermaßen irgendwie abstrus.
Mein Ideal ist nicht 50/50 sondern 100% zusammen. Habe ich mich selbst verloren, wenn ich in meinen (derzeit real nicht existierenden) kinderfreien Stunden irgendwie gar nichts mit mir anzufangen weiß? Oder ist dies einfach nur meinen mangelnden Hobbies geschuldet? Meinem Still-Matschhirn? Charakterfehler?

Darf ich gluckende Helikopter-Mutter sein und nicht einen festgelegten Zeitplan für die Kinderbetreuung haben? (Ginge eh nur am Wochenende, unter der Woche ist der Gingerman 12h außer Haus und damit nur in Randbereichen an der Kinderbetreuung beteiligt.)

Mir fällt durchaus auf, dass in den Facebookgruppen welche Kinderthemen betreffen überwiegend (ausschliesslich ist so ein großes Wort) Mütter aktiv sind. Oder ist das selektive Wahrnehmung? Schreiben im Stoffwindelchat auch Männer? Fragen bei den Tragetuchgruppen auch Männer nach FG und suchen ihr DISO?

Sollte ich dort austreten und mich feministischeren Gruppen widmen oder reicht das Bewusstsein?
Ich möchte keine Betreuungsmöglichkeiten für Kinder ab 6 Wochen und dann so schnell wie möglich wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Auch, wenn andere das super fänden.
Ich möchte in meiner Care-Arbeit gesehen und finanziell unterstützt werden, egal, wann ich beschließe, das außerhäusige Betreuung für meine Kinder gut wäre.
Ja, eben diese zu bekommen war meine private Entscheidung. Aber sie werden mehreren von uns Alten mal den Hintern abwischen, es ist doch zumindest offiziell politisch gewollt, dass wieder mehr Kinder geboren werden.

Wieso kann es nicht ein staatliches Budget geben, von dem ich entweder Zuhause bleiben oder die Betreuung meiner Kinder angemessen bezahlen kann?
Ich schweife ab.

Gibt es nur den Karriere-Feminismus oder darf ich auch den Hausfrauen-Feminismus leben? Ohne zu abendlichen Veranstaltungen zu dem Thema zu gehen um anschließend noch bei nem Bier zu socialisen? Auf Abpumpen habe ich keine Lust und wild und gefährlich bin ich eh nur noch morgens vorm ersten Kaffee.

Reicht mein „Every mother is a working mother“-Button am mit 20kg Einkauf gefüllten Rucksack oder ist diese Aussage anti-emanzipatorisch? Wirkt das lächerlich wenn ich besagten Rucksack und das Baby schleppe, mir über jeder Schulter ein Beutel und an der Hand das große Kind hängt, während der Gingerman nur soviel einkauft wie in seinen kleinen Arbeitsrucksack passt und sowieso nur nach Aufforderung?

Gibt es Feminismus in Abstufungen?
Wieviel Prozent bekomme ich, wenn ich beruflich Frauen dazu ermutige für sich selbst zu sorgen, ihren Mann mit „einzubeziehen“ (schon für das Wort gibt es Minuspunkte), aber auch offizielles Mitglied der Stillmafia® bin?
Warum treibt mich das Thema jetzt mit Baby wieder mehr um, als es das mit größerem Kind getan hat? (Wobei dieser Artikel seit 2013 als Entwurf herumgeistert.)
War ich Vollzeit-arbeitende Singlemutter einfach nur zu müde von meinen ganzen Tinder-Dates oder liegt es an der jetzt gelebten Beziehung, dass ich plötzlich wieder über den Feminismus nachdenke?

Lese ich rein zufällig gerade wieder mehr darüber?
Hat die Machtergreifung Hit-ääääh-Trumps damit zu tun? (Ich weiß, ich weiß, beide wurden gewählt.)

Die Bilder von Menschen, mit dem Schild: „I need feminism because..“ lassen mich beschämt zurück.
Weil na klar, auf jeden Fall bin ich Feministin! Ich möchte wirkliche Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Leben in Sicherheit undsoweiterundsofort für alle Menschen dieser Welt.

Aber in meiner kleinen Internet-Blase, kann/will/darf ich mich da Feministin nennen?
Müsste ich mit rosa Pussy-Hat rumlaufen? Ist es feministisch die Farbe rosa ganz unmöglich zu finden? (Im Gegensatz zu Glitzer, das ist ne Hammer-Farbe!)
Ist es okay auf Instagram meinen (ungeheuer heißen, sexy, antörnenden) Afterbabybody zu zeigen oder ist dies ein Eingeständnis der Reduktion des weiblichen Seins auf die bloße Optik?
Wie sehr muss ich nicht das klassische Rollenmodell leben, damit meine Kinder keine Arschloch-Sexisten werden? Reicht es, wenn sie bunt lackierte Nägel und lange Haare haben und ist der neue Bibi und Tina-Film gemeinsam im Kino gesehen schon der Anfang vom Ende?

Keine Ahnung.

3 Kommentare Gib deinen ab

  1. cloudette sagt:


    (wo du fragt: klar darfst du dich Feministin nennen – da brauchst du von niemensch/man/frau die Erlaubnis. Viele der Fragen stelle ich mir ansonsten auch oft/manchmal/immer wieder im Verlaufe meines Lebens. Fragen sind mir, bei allem Zweifel und Nerv, viel lieber als die vermeintlich klaren und oft so dogmatischen Antworten.)

  2. lottesmotterleben sagt:

    Der ganze Text geht mir so ähnlich im Kopf rum und auch ich kleister seit 2014 daran rum.
    Ich muss mal darüber sinnieren.
    Allerdings eine Sache… Glitzer ist keine Farbe sondern ein Zustand und einer der fiesen Höllenkreise.

    Gruß
    Roksana

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